„Chronischen Tinnitus als Störung anerkennen“
Auf Einladung der Tinnitus Selbsthilfe Frankfurt berichtete Prof. Dr. Berthold Langguth (Tinnituszentrum am Universitätsklinikum Regensburg) vom aktuellen Stand der internationalen Tinnitus-Forschung.
Mit Prof. Dr. Berthold Langguth hat die Tinnitus Selbsthilfe Frankfurt einen der profiliertesten Tinnitus-Forscher zu einem Online-Vortrag am 22. Mai 2025 eingeladen. Langguth ist Leiter des interdisziplinären Tinnituszentrums des Universitätsklinikums Regensburg und auch Mitgründer der Tinnitus Research Initiative – einer international agierenden Plattform für Tinnitus-Forschende. In seinem Vortrag „Neues aus der Tinnitus-Forschung“ konnte er ganz frische Eindrücke von der „TRI2025“ – der jährlich stattfindenden Konferenz der internationalen Tinnitus-Research Initiative – einbinden, die vom 15. bis 18. Mai 2025 in Seoul, Südkorea, stattgefunden hatte. Rund 85 Teilnehmende hatten sich zugeschaltet, aus Deutschland, aber auch aus Österreich und der Schweiz. Moderiert wurde der Vortrag, der im Rahmen der Selbsthilfewoche „Wir hilft“ des Paritätischen stattfand, von Martina Metzner von der Tinnitus Selbsthilfe Frankfurt. Marco Schattauer von der DTL, die den Vortrag mit beworben hat, fungierte als IT-Support.
Prof. Dr. Berthold Langguth, Bild © privat
Seinen Vortrag gliederte Langguth in zwei Teile. Zunächst informierte er über die Entstehung von Tinnitus und aktuelle Ansätze in der Therapie. Deutlich stellte er heraus, dass bei Tinnitus-Patienten die Hörrinde im Gehirn verändert sei und damit auch das Aufmerksamkeitsnetzwerk, das die Hörwahrnehmung beeinflusst. Schaltet sich auch noch das Stressnetzwerk ein, so wird der Tinnitus als belastend erlebt. Analog zur „S3 Leitlinie Chronischer Tinnitus“ rät auch Langguth zum Counseling – also der grundlegenden Beratung und Aufklärung von Tinnitus-Patientin. Wesentliche Aussagen des Counseling sollten sein: „Der Tinnitus ist nicht gefährlich. Die Wahrnehmung des Geräusches und die Reaktion darauf ist nicht identisch. Man kann lernen, mit Tinnitus zu leben.“ Weiterhin verwies der Psychiater und Neurologe auf die Verhaltenstherapie als die Therapie mit der am besten belegten Wirksamkeit zur Reduktion der Tinnitusbelastung.
Im zweiten Teil ging Langguth auf den aktuellen Stand der internationalen Tinnitus-Forschung ein und gewährte damit einen Ausblick in die Zukunft. Mit einer Reihe von Forschenden arbeitet Langguth eng im Austausch und an gemeinschaftlichen Studien zum Verständnis und Therapie von Tinnitus - darunter Dirk De Ridder, Birgit Mazurek oder Winfried Schlee. Im Forscherverbund haben sie zum Beispiel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorgeschlagen, chronischen Tinnitus in Analogie zu chronischen Schmerzsyndromen als „Störung“ anzuerkennen, was derzeit noch nicht der Fall ist. Auch erfolgen Bemühungen, internationale Standards zur Messung zu etablieren, denn vieles läuft noch dezentralisiert auf nationaler Ebene. Langguth zeigte auch auf, dass an verschiedenen Medikamenten zur Tinnitus-Therapie geforscht werde – das sei die Therapie, die sich die meisten Patienten wünschen würden, so Langguth. Er erwähnte auch die wegweisenden „Cure Roadmaps“ der American Tinnitus Association und der British Tinnitus Association. Leider zeige sich, dass die Tinnitus-Forschung zwar Fortschritt mache, es werde immer mehr dazu publiziert, doch nicht unbedingt in puncto neuer Therapien. Insgesamt sei die Finanzierung der Tinnitus-Forschung gering, so Langguth: „Tinnitus-Forschende sind Idealisten.“ Um diese Situation zu verändern, sei es wichtig, dass Betroffene, Selbsthilfeorganisationen, Wissenschaftler*innen, Ärzt*innen und die Industrie konstruktiv zusammenarbeiten. Langguth machte aber zum Schluss Mut und wagte einen Vergleich zu Penicillin, das 1945 per Zufall entdeckt wurde. Manchmal braucht es auch das nötige Quäntchen Glück, damit ein Durchbruch gelingt.
Die anschließende Fragerunde mit den Teilnehmenden via Chat war lebendig: Prof. Dr. Berthold Langguth beantwortete die vielen Fragen mit Expertise und Geduld. Zum Beispiel, ob man Kaffee, Nikotin oder Zucker vermeiden sollte, so: Dass man sich nicht zu stark einschränken sollte, weil so auch die seelische Balance leiden würde, und die sei bei Tinnitus-Patienten enorm wichtig.